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The Rudolf Steiner Archive

a project of Steiner Online Library, a public charity

Collected Essays on Drama 1889–1900
GA 29

Automated Translation

Magazin für Literatur 1897, Volume 66, 42

59. “The Strongest”

Play by Carlot Gottfried Reuling
Performance at the Schiller Theater, Berlin

If I met the pastor Johannes Küster, whose fate Carlot Gottfried Reuling dramatized, in life, I would not seek his company. I would be indifferent to him. He is a weakling, a man who wants to, but cannot want to. He puts up with everything. He became engaged to Sophie Walz when he was young. The girl gave him the means to study. Her influential, pious relatives got him a pastorate. He has an interest in science. He dabbles with natural objects. Reuling would have us believe that he feels unhappy as a pastor. But we don't believe it. His interest in knowledge is not intense enough. If he had studied science, he would want something else. He has no iron in his blood. He would like to part with his bride, whom he no longer likes after being engaged to her for many years. Because he loves his cousin, the clever Frieda Bügler, who understands him. She talks so cleverly and is so well-behaved that she is almost disgusting. Sophie forcefully reminds him of the duty he has to her. She has given him the money for his education because she wanted to marry him. She makes it clear to him how unmanly it is to turn his back on her because his love belongs to someone else. He obeys dutifully. Duty is the stronger thing. She wins. He renounces the good, clever Frieda and enters into a forced marriage with Sophie. But he takes revenge. He takes revenge, as schoolboys are wont to do. He accompanies the corpse of a suicidal woman to her grave, even though this contradicts the feelings of his bride and her relatives. Just wait, I want to show you some nice things. I'll do what annoys you. Why did you just want to marry me?

It is well known that a woman sacrifices much to help her beloved, that her love does not shy away from any sacrifice. That this woman forces him to marry her the moment she sees her lover's affection for her extinguished, I think is nonsense. Such facts awaken pride in the woman. She says to herself: no, I will not possess you without your affection. If a woman acts in a different way, this way is none of our business. It arouses disgust in reality; and we reject it when it confronts us in poetry.

I know what the learned and unlearned aesthetes of the present day will say. Pure art, they say, is not concerned with whether we like a personality or a process or not. It has to depict what happens, not what we would like to happen. Such a view of art alone is soft, feminine. Pure art is a woman. And if it does not allow itself to be fertilized by a world view, by the emotional life that hates and loves, then it becomes an old maid. Carlot Gottfried Reuling's art is an old maid. There is no masculine trait in this poet's work. It would have been manly if he had allowed Johannes Küster to make the decision to give up Sophie. All prejudices should not concern him. His renunciation is feminine; a strong assertion of his will, a devotion to his passion, to his goals, would have been masculine. This has nothing to do with pure art, but pure art does not make it so. The work of art must not remain untouched by our sympathies and antipathies. Why should we allow ourselves to be offered in the theater what is uninteresting to us in life?

But basically they are good Christians and philistines, these poets of Reuling's ilk. The ruthless will, the strong ability is not to their liking. Obeying their duty is more important to them than asserting their personality. Renunciation is their watchword. They see piety in obedience. And they want piety. Piety is good to them; they call the indulgence of their own personality evil, reprehensible. And they cross themselves before the word egoism. What good is it that Reuling is a real poet? That he has serious, artistic intentions, if his view of life is repugnant to us? If we always have the feeling that everything in his drama should have turned out differently? The drama "Das Stärkere" reflects a weak, mathearted view of life. The poet lacks the courage to act, to strive for his own goals. That is why his hero also lacks it. And where Reuling draws energy, as in Sophie, he draws it wrongly. He makes her want the opposite of what she should want according to a healthy psychological view. This drama is a play by a philistine and for philistines. Anyone who is not a philistine will feel bored by it.

«DAS STÄRKERE»

Schauspiel von Carlot Gottfried Reuling
Aufführung im Schiller-Theater, Berlin

Wenn mir der Pfarrer Johannes Küster, dessen Schicksal Carlot Gottfried Reuling dramatisiert hat, im Leben begegnete, ich würde seinen Umgang nicht suchen. Er wäre mir gleichgültig. Er ist ein Schwächling, ein Mann, der will, aber nicht wollen kann. Er läßt alles über sich ergehen. Er hat sich in jungen Jahren mit Sophie Walz verlobt. Das Mädchen hat ihm die Mittel gegeben, um zu studieren. Ihre einflußreichen, frommen Verwandten haben ihm eine Pfarrstelle verschafft. Er hat Interesse für Naturwissenschaft. Er tändelt mit Naturgegenständen. Daß er sich als Pfarrer unglücklich fühlt, will uns zwar Reuling glauben machen. Wir glauben es aber nicht. Sein Interesse an der Erkenntnis ist nicht intensiv genug. Hätte er Naturwissenschaft studiert, so würde er etwas anderes wollen. Er hat kein Eisen im Blut. Er möchte sich gern von seiner Braut, die ihm nicht mehr gefällt, nachdem er viele Jahre mit ihr verlobt ist, trennen. Denn er liebt sein Cousinchen, die kluge Frieda Bügler, die ihn versteht. Sie schwätzt so gescheit und ist so brav, daß sie fast widerlich ist. Sophie erinnert ihn energisch an die Pflicht, die er ihr gegenüber auf sich geladen hat. Sie hat ihm das Geld zu seiner Ausbildung gegeben, weil sie ihn heiraten wollte. Sie macht ihm klar, wie unmännlich es ist, ihr den Rücken zu kehren, weil seine Liebe einer anderen gehört. Er gehorcht brav. Die Pflicht ist das Stärkere. Sie siegt. Er entsagt der guten, gescheiten Frieda und wird die erzwungene Heirat mit Sophie eingehen. Aber er rächt sich. Er rächt sich, wie es Schulknaben zu tun pflegen. Er begleitet die Leiche einer Selbstmörderin zu Grabe, obwohl das den Empfindungen seiner Braut und ihrer Verwandten widerspricht. Warte nur, ich will dir noch schöne Dinge aufführen. Was dich ärgert, das tue ich. Warum hast du mich gerade heiraten wollen.

Daß das Weib viel opfert, um dem Geliebten zu helfen, daß seine Liebe vor keiner Opferwilligkeit zurückschreckt, ist bekannt. Daß dieses Weib in dem Augenblicke, als sie die Neigung des Geliebten für sie erloschen sieht, ihn zwingt, sie zu heiraten, halte ich für Unsinn. Solchen Tatsachen gegenüber erwacht der Stolz im Weibe. Es sagt sich: nein, ohne deine Neigung will ich dich nicht besitzen. Handelt ein Weib in anderer Art, so geht uns diese Art nichts an. Sie erweckt in der Wirklichkeit Ekel; und wir lehnen sie ab, wenn sie uns in der Dichtung entgegentritt.

Ich weiß, was die gelehrten und ungelehrten Ästhetiker der Gegenwart sagen werden. Die reine Kunst, ist ihre Meinung, hat sich nicht darum zu kümmern, ob eine Persönlichkeit, ein Vorgang uns sympathisch sind oder nicht. Sie hat darzustellen, was geschieht, nicht das, was wir gerne geschehen lassen möchten. Allein eine solche Kunstanschauung ist weichlich, weibisch. Die reine Kunst ist ein Weib. Und wenn sie sich nicht befruchten läßt von einer Weltanschauung, von dem Empfindungsleben, das haßt und liebt, so wird sie eine alte Jungfer. Carlot Gottfried Reulings Kunst ist eine alte Jungfer. Es ist kein männlicher Zug in dem Schaffen dieses Dichters. Männlich wäre es gewesen, wenn er den Johannes Küster hätte den Entschluß fassen lassen, Sophie aufzugeben. Alle Vorurteile dürften ihn nichts angehen. Seine Entsagung ist weibisch; ein starkes Durchdrücken seines Willens, die Hingabe an seine Leidenschaft, an seine Ziele wäre männlich gewesen. Das hat zwar mit der reinen Kunst nichts zu tun, aber die reine Kunst macht es nicht. Das Kunstwerk darf nicht von unseren Sympathien und Antipathien unberührt bleiben. Warum sollen wir uns im Theater bieten lassen, was uns im Leben uninteressant ist?

Aber im Grunde sind sie doch brave Christen und Philister, diese Dichter vom Schlage Reulings. Das rücksichtslose Wollen, das starke Können ist nicht nach ihrem Sinne. Der Pflicht gehorchen steht ihnen höher als das Durchsetzen der Persönlichkeit. Entsagung ist ihr Losungswort. Im Gehorchen sehen sie Frömmigkeit. Und Frömmigkeit wollen sie. Frömmigkeit ist ihnen das Gute; das Waltenlassen der Eigenpersönlichkeit nennen sie böse, verwerflich. Und vor dem Worte Egoismus bekreuzigen sie sich. Was nützt es, daß Reuling ein wirklicher Dichter ist? Daß er ernstliches, künstlerisches Wollen hat, wenn uns doch seine Lebensauffassung widerlich is? Wenn wir stets das Gefühl haben: in seinem Drama hätte alles anders kommen sollen? Eine schwächliche, mattherzige Lebensanschauung spiegelt das Drama «Das Stärkere». Der Mut zum Handeln, zum Streben nach eigenen Zielen fehlt dem Dichter. Deshalb fehlt er auch seinem Helden. Und wo Reuling Energie zeichnet, wie in Sophie, da zeichnet er sie falsch. Da läßt er sie das Gegenteil von dem wollen, was sie im Sinne einer gesunden psychologischen Anschauung wollen müßte. Ein Stück von einem Philister und für Philister ist dieses Drama. Wer kein Philister ist, fühlt sich angeödet von ihm.